Fraktionsvorsitzender Bernd Püllen am 22.09.10 zum Haushaltsplan 2010/11.
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren,
die FWG fordert seit Jahren eine an dem Leistungsvermögen der Stadt orientierte und angepasste Haushaltswirtschaft, die sich zudem mehr denn je darauf konzentrieren muss, Wünschenswertes vom Notwendigen zu unterscheiden. Der vorgelegte Haushaltsentwurf entspricht dem nicht, kann im Ergebnis vielmehr beschrieben werden mit:
Der Abgrund ist in Sicht!
Die FWG-Fraktion wird den Haushaltsentwurf ablehnen.
Für Sie endet leider hier die Etatrede nicht. Denn schon Voltaire hat einmal gesagt: Alle Menschen sind klug, die einen vorher und die anderen dann nachher. Wir wollen dabei helfen.
Liest man die Rede des Kämmerers zur Einbringung des Etats 2010/2011 und hört die Beiträge bestimmter Fraktionsvorsitzenden-Kollegen werden seit Jahrzehnten die mangelnde Finanzausstattung durch Bund und Land sowie die vermehrten Aufgabenübertragungen angeführt. Ab und zu tauchen jetzt Begriffe wie Konnexitätsprinzip auf. Ausserdem werden Resolutionen verfasst, die so großartige Begriffe wie Schuldenmoratorium verwenden.
Aber all dies nutzt überhaupt nichts, wir erleben mit diesem Haushalt und seiner Finanzplanung den faktischen fiskalischen Bankrott - die Stadt verschuldet sich mittlerweile täglich um rd. 500.000 €, gibt also täglich 500.000 € mehr aus als sie einnimmt. Und dies steigert sich sogar in den nächsten Jahren noch. Der Eindruck des sich Ergebens in die Vergeblichkeitsfalle ist bzw. war bei der alten wie der neuen Mehrheit vorhanden, ein Spareffekt gemessen am Fehlbetrag fällt ja kaum ins Gewicht.
Leider hat sich trotz des Mehrheitenwechsels von der langjährig herrschenden Mehrheit von CDU/FDP zur Ampel aus SPD/FDP/Grünen keine Änderung in den Grundstrukturen ergeben.
Nach wie vor ist der notwendige Sparwille nicht vorhanden.
Die Einsicht, dass jeder Euro, der zusätzlich bereitgestellt wird, egal wie sinnvoll das Einzelprojekt auch ist, uns entfernt von einer Konsolidierung, fehlt. Dafür warten wir lieber auf einen Goldregen von oben.
Dabei hätte sich eine riesige Chance geboten. Wir haben den ersten Haushaltsentwurf, der sich in Verbindung mit der Eröffnungsbilanz zum 01.01.2009 darstellt. Das NKF (Neues Kommunales Finanzmanagement) ermöglicht die transparente Abbildung der tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse und der vollständigen Vermögensbestände. Mit der Eröffnungsbilanz konnte die Stadt noch ein Eigenkapital von rd. 1,25 Mrd. € vorweisen, doch bereits mit dem Defizit im Jahr 2010 ist die Ausgleichsrücklage von 134 Mio. € verbraucht und zusätzlich wird das Eigenkapital angegriffen, bis spätestens 2015 oder 2016 - oder doch schon früher - die kommunale Insolvenz eintritt. Schließlich haben wir ein jährliches Defizit von 170-185 Mio. €.
Das Ausmaß des Schuldenbergs wurde durch die bisherige Haushaltsdarstellung verschleiert betrachtet. Lediglich die Höhe des originären Haushaltsdefizits wurde Jahr für Jahr in den Vordergrund gestellt, meist waren es zwischen 50 und 90 Mio. € pro Jahr.
Man befindet sich zwar seit 2001/02 im Nothaushaltsrecht, aber erst jetzt zeigt sich - hoffentlich endlich für jeden erkennbar - das Ausmaß der Unterfinanzierung. Und die erhoffte Haushaltsschönung durch die Berücksichtigung der Vermögenswerte (Bäume und Straßen haben jetzt einen Wert) tritt nicht ein.
Betrachtet man als aussagekräftige Kennzahl die Eigenkapitalquote (Eigenkapital in Relation zur Bilanzsumme) zeigt diese als Bonitätsindikator eine bescheidene Situation. Diese Situation wird durch das Hinzuziehen der Fehlbetragsquote (prozentualer Umfang des Eigenkapitals der durch den Fehlbetrag in Anspruch genommen wird) noch deutlicher und problematischer und beträgt allein für 2010 schon 16% und in den Folgejahren noch viel mehr.
Die FWG hat seit Jahren auf die sich abzeichnende Entwicklung verwiesen, dabei eine Vielzahl von Anträgen in den Jahren im Rat gestellt, um zu einer Defizitbewältigung zu gelangen.
Alle wurden von den Mehrheiten abgelehnt.
Will man das Gehampele - dazu gehört die Einbringung als auch die Verschiebung des Haushalts - über den diesjährigen Doppelhaushalt beschreiben, könnte es lauten:
Verschieben - nicht sparen wollen.
Man kann dazu die folgende Einschätzung treffen und zwar nach dem dem römischen Staatsmann Seneca zugeschriebenen Satz:
Wenn man nicht weiß, welchen Hafen man ansteuert, ist kein Wind günstig.
Dies gilt im Besonderen für die politischen Mehrheiten dieser Stadt, sowohl für die aktuellen wie für die in der Vergangenheit.
Aber das können wir uns nicht weiter leisten.
Für einen Erfolg von NKF war die Umstellung des Rechnungswesens wichtig. Um aber zu Erfolgen zu gelangen, ist eine Änderung der politischen Kultur erforderlich. Was heißt das:
Es fehlen klare Konsolidierungsstrategien, es fehlen klare Handlungsoptionen, es fehlen klare Regeln.
Es könnte verbindliche Ziele, Vorgaben oder Kennzahlen im kommunalen Finanzmanagement durch den Rat und die Ratsmehrheit geben. Die Gemeindehaushaltsverordnung verpflichtet die Kommunen sogar zur Bestimmung von Zielen und Kennzahlen und auch die sog. NKF-Handreichung des Innenministeriums spricht davon.
Aber es gibt sie leider nicht.
Eine klare Regel könnte sein die Verschuldungsgrenze bei Krediten zur Liquiditätssicherung festzulegen.
Mönchengladbach offenbart hier ein Dilemma wie es in kaum einer anderen Kommune vorhanden ist: Der Umfang der Kredite zur Liquiditätssicherung. Damit sind die Kassenkredite gemeint. Mit diesen Krediten sollen die unterjährigen Liquiditätsengpässe, die sich im Rahmen der allgemeinen Geschäfts- und Verwaltungstätigkeit ergeben, kurzfristig überbrückt werden. Im Gegensatz zu den Investitionskrediten müssen die Kassenkredite von den Aufsichtsbehörden nicht genehmigt werden. In 2010 ein in MG bei mittlerweile rd. 880 Mio. Euro liegendes beliebtes Mittel parallel zur Haushaltsicherung die Finanzierung ihrer Leistungen zu sichern. Der Bestand an Kassenkrediten ist inzwischen bei 250 % der Investitionskredite angelangt. Diese Quote erhöht sich im Laufe der Jahre bis 2014 sogar auf rund 400%.
Der Bund der Steuerzahler spricht davon, dass Kassenkredite vergleichbar mit Dispositionskrediten von Privatleuten sind und gedacht sind, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken, und damit nicht fürs Alltagsgeschäft geeignet. MG ist im Bereich der Bezirksregierung Düsseldorf auf dem nicht vertretbaren Weg zum Dispo-King aufzusteigen.
Eine klare Vorgabe könnte sein, dass nur Maßnahmen in Angriff genommen werden, die Nachhaltigkeit gewährleisten. Dazu ist aber ein vorbehaltsloser aufgabenkritischer Ansatz notwendig. Beispielsweise im Baubereich, wenn man sich auf B-Pläne mit Schwerpunkt auf bereits ausgewiesene Wohn- und Gewerbegebiete konzentriert, dabei ökologisch verantwortlich sowie ökonomisch sinnvoll handelt und nicht wie beispielsweise beim neuen Baugebiet Dahlener Heide, wo in der Beratungsvorlage eine nicht erzielbare Wirtschaftlichkeit dargestellt wurde - heißt: die Ratsmehrheit beschließt im Vorfeld eine Steigerung des Defizits als Folge der nicht rentierlichen Folgekosten. Oder erinnern Sie sich an den Grünzug Hardterbroich, dessen Realisierung selbst vom Rechnungsprüfungsamt angeprangert wurde. Laut Kostenansatz sind es ja nur mehrere Hunderttausend Euro.
Wir, die FWG, vermissen einen Entschuldungsplan, der als Vorgabe u.a. enthält, dass alle Positionen - auch unterhalb der Zehntausendergrenze - auf den Prüfstand gelangen. Die Verwaltung und der Rat müssten sich verpflichten, jede Einsparung zu realisieren. Wir erleben am Beispiel des ihnen allen bekannten Falles des Bürocontainers ganz anderes.
Hier handelt man abschließend sogar nach dem Motto, wenn man schon falsch gehandelt hat, muss man für das Falsche wenigstens noch eine Begründung finden.
Eine weitere Vorgabe könnte sein, alle Verträge mit Dritten (dazu gehören die privatrechtlichen Leistungsentgelte, aber auch die Regelungen mit EWMG und MGMG) intensiv zu untersuchen.
Aber es passiert leider nicht.
Mögliche Erklärung: Alle Verträge mit Dritten gelten nicht als freiwillige Leistungen.
Eine Handlungsoption wäre das grundsätzliche Prüfen von Alternativen insbesondere dann, wenn die Grundsatzentscheidung und die Umsetzung der Maßnahme zeitlich länger auseinander liegen. Beispiel Erweiterungsbau Kindergarten Venn, wo laut Verwaltung nur der Bedarf für Kindergartenplätze geprüft wurde, aber keine Alternative zum Um- und Neubau.
Eine deutliche Handlungsoption könnten Aussagen zur interkommunalen Zusammenarbeit sein. Die FWG findet keine Aussagen zur Verstärkung der interkommunalen Zusammenarbeit, vorrangig zunächst einmal im sogenannten Back-Office-Bereich. Dies wäre eine einmalige Chance, verkrustete Strukturen im Sinne der Bürgerinnen und Bürger aufzubrechen. Stattdessen erleben wir aus unserer Sicht unzureichende Ergebnisse wie zuletzt bei der Software für elektronische Vordruckbearbeitung.
Auch die Bündelung von Dienstleistungen und das rasche Nutzen des Potenzials Internet gehören in diese Handlungsoption - stattdessen lesen und hören wir nichts über den Wegfall von Abstimmungsprozessen, sondern regelmäßig über Probleme von Abstimmungsprozessen, siehe Straßenverkehrsamt.
Noch problematischer ist es aber, wenn es bereits klare Regeln gibt, sich dann aber doch keiner daran hält. Beispiel, wenn wie bei der Bestellung von Kommandowagen bei der Feuerwehr das vorgeschriebene Resteverfahren und auch die Investitionsplanung nicht richtig behandelt werden, hier sogar unterstützt durch das aktive Eingreifen des OB.
Sie sehen, es werden viele Chancen vertan. Dabei ist es egal, ob die CDU, die Gestaltenmehrheit oder der OB die Verantwortung zu tragen hatten.
Aber all dies wird noch verschärft durch sog. endogene Faktoren der Kommunalpolitik, also Faktoren, die aus dem Inneren des Systems Politik/ Politiker entstehen. Was meinen wir damit:
Es gibt die Akteurseigenschaft. Bedeutet in MG, schnell noch Investitionen vorziehen, bevor der Nothaushalt im Hinblick auf die kommunale Insolvenz endgültig greift. Richtiger wäre eine klare Entscheidung vorzugeben, dass bei allen Investitionsentscheidungen spätere Betriebskosten ein wichtiger Maßstab sind und/ oder alle Investitionen über eine bestimmte Eurogröße, die über Kredite finanziert werden müssen, für drei oder fünf Jahre oder ganz ausgesetzt werden.
Heißt: Von nicht unumgänglichen Vorhaben ist Abstand zu nehmen.
Es gibt politische Partikularinteressen: Bedeutet, viele Politiker glauben, sich am besten mit Grossprojekten profilieren zu können. Dabei gilt: wenn man mittelfristig denkt, sind viele Projekte unsinnig. Beispiele gefällig? Mehrzweckhalle Neuwerk, Totenhalle Holt, Konstantinplatz Giesenkirchen.
Es gibt Beratungs- und Informationsresistenz: Bedeutet, viele wollen sich nicht informieren lassen und ignorieren dargestellte Sachverhalte letztlich dann auch bei Abstimmungen. Beispiel für einen symptomatischen Fall gefällig? Tennenplatz Schlachthofstraße.
Meine Damen und Herren,
wie oft solche hier angesprochenen Vorgänge noch an anderen Stellen passieren, ist nicht feststellbar. Sicher aber sind es sehr viele.
All dies sind Gründe, die nicht nur von der FWG so gesehen werden. Die Hochschule Niederrhein hat sich auf Veranlassung der IHK Mittlerer Niederrhein mit dem Haushaltsplanentwurf ebenfalls beschäftigt und führt in ihrer Stellungnahme aus, dass die Situation in MG dramatisch ist. Weiterhin gibt es die Einschätzung, dass die Stadt kein Einnahme-, sondern ein Ausgabenproblem hat.
Der vollständige Verlust der finanziellen Handlungsfähigkeit steht bevor, und das Schlimme ist, er ist weder kurz- noch mittelfristig aufzuheben. Das, was wir heute an Haushaltsproblematik sehen, ist seit 1993 unaufhörlich gewachsen.
Meine Damen und Herren, Herr Oberbürgermeister,
der FWG ist es aufgrund der dargestellten Sachverhalte unmöglich den Haushaltsplan und seine Anlagen mitzutragen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.